IEPA#4 <-> Pauline Castra

 IEPA#4 <-> Pauline Castra Pauline Castra, Panse tête à Pompéi, 2018 Perspektive
Pauline Castra, Panse tête à Pompéi, 2018

Die in Bordeaux lebende Künstlerin Pauline Castra, die im Bereich der Skulptur arbeitet, ist aktuell seit Anfang September für eine Dauer von drei Monaten mit dem IEPA-Arbeitsstipendium in der basis in Frankfurt. Fast zeitgleich war Dennis Siering mit dem Austausch-Stipendium, das im Rahmen des Fonds PERSPEKTIVE stattfindet, in NEKaTOENEa in Hendaye. Anfang des kommenden Jahres werden die Ergebnisse im Rahmen einer Ausstellung und gemeinsamen Publikation in Frankfurt und in Hendaye präsentiert.

Wir haben mit Pauline Castra über ihre Erfahrungen in Frankfurt und die noch verbleibende Zeit gesprochen.


Liebe Pauline Castra, Sie sind nun seit etwa zwei Monaten in Frankfurt. Wie nehmen Sie die dortige Kunstszene wahr?

Pauline Castra Ich muss zugeben, dass ich ob der der großen Vielfalt der künstlerischen Projekte überrascht war. Ich hatte nicht erwartet, so viele Ausstellungen zu sehen, die untereinander so unterschiedlich sind. Auch außerhalb Frankfurts besitzen alle Städte sehr schöne Museen mit ausgezeichneten Sammlungen wie beispielsweise in Wiesbaden. Ich war vor Kurzem da: wirklich ein sehr angenehmer Ort, an dem sich bildende Kunst, Naturkunde und Ethnographie überschneiden. Ich habe dort unter anderem eine sehr schöne Jugendstil-Sammlung von F. W. Neess gesehen und mit der Ausstellung zu aufstrebenden deutschen Maler*innen, Now! Malen in Deutschland heute, eine wunderbare Entdeckung gemacht. Ganz zu schweigen von der dortigen Sammlung moderner Kunst mit sehr schönen Werken von Rebecca Horn, Donald Judd, Yves Klein und natürlich Beuys. Ein wirklich sehr schöner Ort, und eine besonders großzügige Hängung!

Stellen Sie Unterschiede zu Bordeaux, wo sie aktuell arbeiten, fest?

Pauline Castra Es ist für mich schwierig, die beiden Szenen zu vergleichen. Sie und ihre Kontexte sind sehr unterschiedlich. Aber um auf das zurückzukommen, was ich vorhin gesagt habe: ich war überrascht von den unzähligen Museen und der Qualität der gezeigten Ausstellungen. Dieser kulturelle Reichtum ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass Deutschland ein föderaler Staat ist. Die Länder scheinen die regionalen Kulturszenen, welche die Vielfalt künstlerischer Produktion antreiben, stark zu unterstützen.

 IEPA#4 <-> Pauline Castra Relève de nuit, Recherchen während der Residenz, Taschenlampenaufnahme, Liebieghaus, Frankfurt 2019 Perspektive
Relève de nuit, Recherchen während der Residenz, Taschenlampenaufnahme, Liebieghaus, Frankfurt 2019

Welche Kunsträume und Projekte sind Ihnen in Frankfurt aufgefallen?

Pauline Castra Natürlich der Kunstraum basis, in dem ich untergebracht bin. Im Herzen der Stadt stellt er eine Quelle der lokalen Kunstszene und einen Raum für Forschung und Produktion dar, der der Kreativität gewidmet ist.  Und aus persönlicher Sicht unterstützt mich das basis-Team ungemein in meinen aktuellen Recherchen.

Oder der Projektraum fffriedrich, der von Studierenden – vorwiegend des Masterstudiengangs Curatorial Studies der Städelschule und der Goethe-Universität – bespielt und betrieben wird. Wahrhaft ein Ort des künstlerischen Experimentierens, an dem die Studierenden unmittelbar mit kuratorischen Fragen konfrontiert werden. Seitdem ich in Frankfurt bin, trifft man mich hier öfter an.

Ich könnte auch einfach das gesamte Museumsufer nennen. Dieser Stadtteil Frankfurts liegt am Mainufer mit sehr schönen Einrichtungen, die nicht nur der bildenden Kunst, sondern auch der Ethnografie, Filmografie, Fotografie, Architektur etc. gewidmet sind. Eine großartige Entdeckung!  Auf mein Projekt bezogen denke ich vor allem an das Liebieghaus. Das ebenfalls am Ufer befindliche Museum zeigt die Skulpturensammlung der Liebieghaus-Stiftung mit Werken aus der Antike, dem Mittelalter bis hin zu neoklassizistischen Werken. Über die Sammlung hinaus hat der Ort an sich meine Arbeit stark beeinflusst und inspiriert.

Sie haben nun bereits 2/3 der Residenz hinter sich, ein Monat liegt noch vor Ihnen. Sie hatten sich für Ihre Residenz die Suche nach Objekten vorgenommen. Objekte, die für Ihr persönlich Erlebtes in Frankfurt stehen sollen und die sie mit Ihren bestehenden Arbeiten, wie sie kürzlich an der ESAPB Cité des Arts in Bayonne gezeigt wurden, überlagern. Sind Sie bereits fündig geworden?

Pauline Castra Im Gegensatz zu meiner bisherigen Praxis wollte ich dieses Mal bei null anfangen und alles direkt vor Ort produzieren. Für die Ausstellung Tout le monde se repose ici sauf moi, die an der ESAPB gezeigt wurde, bin ich von einem Konvolut bereits bestehender Abgüsse ausgegangen und habe ein skulpturales Dispositiv rundherum konzipiert. Da mir die Sammlung aber nicht gehört, existierte die Arbeit nur für die Dauer der Ausstellung. Schlussendlich, selbst wenn ich das Projekt nochmals neu denken würde, würde die Arbeit so, wie ich sie in Bayonne gedacht hab, nicht mehr existieren. Dies hängt von dem Status der Artefakte und der Art und Weise, wie ich sie benutze, ab. Im Rahmen des IEPA-Programms wollte ich den Prozess des Sammelns anders erleben, nicht im Sinne der Verlagerung von Objekten, sondern durch indirekte Zeugnisse. Zudem habe ich mich auf zurückgelassene Elemente, nämlich Bauschutt des Gebäudes fokussiert. Dies architektonischen Fragmente, die einst den Rahmen des Museums darstellten, lagern nun einsam und verbannt hinter dem Museum. Ohne sie appropriieren oder bewegen zu können stellt sich die Frage nach unserem Umgang mit diesen Formen. Genau dies ist Zentrum meiner aktuellen Auseinandersetzungen.

 IEPA#4 <-> Pauline Castra Pauline Castra, Tout le monde se repose ici sauf moi, ESAPB, Bayonne 2019 Perspektive
Pauline Castra, Tout le monde se repose ici sauf moi, ESAPB, Bayonne 2019

Sie interessieren sich für vorgefundene Objekte mit einer eigenen Geschichte und Zeitlichkeit, die sie in ihren skulpturalen Settings neu kontextualisieren. Können Sie uns etwas zur Entstehung und Entwicklung Ihrer Skulpturen, an denen Sie aktuell arbeiten, erzählen?

Pauline Castra Zunächst gibt es die Phase des Sammelns, Jagens und Suchens… Ich recherchiere, laufe herum und hinterfrage das Gefundene. Dabei kann ich ein neues Projekt definieren oder auch nur ein bereits gedachtes Konzept bedienen. Es kommt vor, dass ich ein und dasselbe Artefakt für mehrere Arbeiten durchdenke. Mir gefällt die Idee, dass diese Objekte mit der Bewegung kommen und gehen: vom ursprünglichen Fundort ins Atelier, vom Lager in den Ausstellungsraum, von einem Raum zum nächsten. In Wirklichkeit zirkulieren sie ständig. Aber wie ich bereits erwähnte, wollte ich für das IEPA-Programm den Prozess anders angehen. Ich wollte die Formen nicht vereinnahmen, sondern sie bloß leihen. Wie kann man Objekte ohne ihre Anwesenheit begreifen? Wie kann man etwas sichtbar oder zumindest zugänglich machen, das unsichtbar ist? Diese Fragestellungen versuche ich über Untersuchungen des Begriffs des Archivs zu beantworten.

Mit dieser Neukontextualisierung produzieren Sie ein durchaus persönliches Narrativ. Welchen Stellenwert beziehungsweise welche Bedeutung hat die Materialisierung Ihrer persönlichen Erfahrungen in den Ausstellungsobjekten?

Pauline Castra Ich sehe diese persönlichen Erfahrungen als Schwebezustände. Das Spielen mit diesen etwas prekären Gleichgewichten erstarrt für die Dauer der Ausstellung. Die ausgestellten Objekte scheinen in dieser Zeit ihren festen Platz gefunden zu haben. Für diesen Zeitraum überlasse ich ihnen innerhalb der Skulpturen einen Ort zum Existieren, an dem sie gewürdigt werden können. Ich denke es geht darum, sich um diese Artefakte zu kümmern, ihnen ein bisher unbemerktes ästhetisches Interesse und neuen Wert zu verschaffen.

Und nun zum Schluss ganz kurz, welche Erfahrungen waren bis jetzt für Sie die wichtigsten während Ihres Aufenthaltes in Frankfurt?

Pauline Castra Ich würde sagen alle Erfahrungen im Rahmen dieser Residency sind neu für mich und stellen meinen künstlerischen Auseinandersetzungen eine neue Herausforderung. Mit meinem besonderen Interesse für die Konstruktion von Geschichte und ihrer Materialisierung war ich besonders vom Dom-Römer-Viertel beeindruckt. Dieses Stadtviertel selbst steht als Denkmal. Das architektonische Ensemble, nach dem Zweiten Weltkrieg rekonstruiert, steht für eine bestimmte Identitätssuche, den Willen, ein wenig Altes in die durch und durch zeitgenössische Stadt zu bringen. Aber schlussendlich bleibt auch das Dom-Römer-Viertel ein modernes Viertel.

Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit!

 IEPA#4 <-> Pauline Castra Pauline Castra, Noeud de forme, Rennes 2016 / Pauline Castra, Tout le monde se repose ici sauf moi, ESAPB, Bayonne 2019 Perspektive
Pauline Castra, Noeud de forme, Rennes 2016 / Pauline Castra, Tout le monde se repose ici sauf moi, ESAPB, Bayonne 2019

Pauline Castra wurde 1990 in Mont-de-Marsan geboren, lebt und arbeitet in Bordeaux. Die Künstlerin studierte an der DNSEP, EESAB in Rennes und der DNAP, ESA Pyrénées in Pau. Die Residenz findet gerade bis Ende November in der basis in Frankfurt statt. Die Ergebnisse werden gemeinsam mit den Arbeiten von Dennis Siering vom 24.01.2020 bis 08.03.2020 im Kunstraum basis, dann in Frankreich mit einem gemeinsamen Katalog präsentiert. 


Das Gespräch wurde im Oktober 2019 mit Stefanie Steps, Kulturbeauftragte des Bureau des arts plastiques, geführt.