Jury PERSPEKTIVE <-> 2020

 

 

 Jury PERSPEKTIVE <-> 2020  Perspektive

Wir freuen uns sehr, dass wir ab der diesjährigen Ausgabe die in Berlin lebende Künstlerin Monica Bonvicini in unserer PERSPEKTIVE-Jury willkommen heißen dürfen!

Mit den weiteren Jurymitgliedern Eike Becker, Jacques Ferrier, Hélène Guenin, Christina Landbrecht und Jean-Hubert Martin haben wir über ihre bisherigen Erfahrungen im Rahmen der Jury PERSPEKTIVE, den deutsch-französischen Austausch und das aktuelle Geschehen in Kunst und Architektur gesprochen:


Was waren Ihre Gründe, bei PERSPEKTIVE teilzunehmen?

Eike Becker Mit der immer engeren Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland verbinde ich große Hoffnungen. Auch in der Bildenden Kunst und der Architektur wünsche ich mir stärkere, intensivere, inspirierende Verbindungen. Der Fonds PERSPEKTIVE fördert durch die Unterstützung von multinationalen Fachtreffen, Seminaren und Workshops die Kunstszene in beiden Ländern und thematisiert das Verhältnis zwischen Architektur und Kunst. Als Architekt und langjähriger Vorsitzender der KW Institute for Contemporary Art interessiert mich genau das seit vielen Jahren.

Hélène Guenin Durch meine Erfahrung am Frac Lorraine und dann im Centre Pompidou-Metz habe ich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Deutschland, Luxemburg und Belgien über Jahre hinweg „gelebt“. Ich fühle mich dem europäischen Kulturgedanken sehr verbunden; über die bildende Kunst hinaus interessieren mich Forschungsfragen und das Experimentieren in der Architektur und ich war von der Gründung des Preises, der darauf abzielt, transnationale Projekte und Initiativen in diesen beiden Bereichen des kreativen Schaffens zu unterstützen, begeistert.

Jacques Ferrier PERSPEKTIVE ist eine Initiative, die im Einklang mit der europäischen Vision von Kultur und künstlerischer Produktion steht. Ich bin diesem europäischen Zusammengehörigkeitsgefühl, das auch meiner Praxis und meiner Überzeugung entspricht, sehr stark verbunden. In diesem Sinne bin ich glücklich darüber, Teil dieser Auszeichnung, die transnationale künstlerische Initiativen fördert, zu sein.

Jean-Hubert Martin Weil mir die deutsch-französischen Beziehungen schon immer am Herzen gelegen sind.

Christina Landbrecht Der Fonds PERSPEKTIVE ist aufgrund der spartenübergreifenden Förderung von Kunst- und Architekturprojekten sowie des länderübergreifenden Austausches zwischen Deutschland und Frankreich ein äußerst gelungenes Förderformat. Ich habe daher den Fonds seit seiner Gründung mit großem Interesse verfolgt und freute mich sehr, als ich schließlich in die Jury berufen wurde.

 Jury PERSPEKTIVE <-> 2020 MakeCity Festival, Berlin 2018, Foto: Anna Vera Lengyel Perspektive
MakeCity Festival, Berlin 2018, Foto: Anna Vera Lengyel

Haben Sie besondere Verbindungen zu Frankreich?

Eike Becker Als Student habe ich ein Jahr in Paris gelebt und studiert. Neben diversen längeren Aufenthalten in Frankreich fahre ich seit 20 Jahren jährlich zur MIPIM nach Cannes. Seit 2009 nehme ich interessiert Anteil an der Arbeit des Bureau des arts plastiques des Institut français Deutschland und der Französischen Botschaft.

Hélène Guenin In den letzten Jahren habe ich mit einigen Künstler*innen und Institutionen in Deutschland im Rahmen von Koproduktionen, Mitherausgeberschaften oder Ausstellungsübernahmen zusammengearbeitet. Ich habe beispielsweise mit Museen, Kunsthallen oder Kunstvereinen wie auch Orten der darstellenden Kunst in Saarbrücken, Hamburg oder Frankfurt gearbeitet. Dies war im Bereich des intellektuellen Austausches, des Netzwerkens als auch hinsichtlich der Beobachtung der unterschiedlichen Herangehensweise an Projekte äußerst fruchtbar.

Jacques Ferrier In den letzten Jahren wurden wir in Zusammenarbeit mit deutschen Architektenfreunden zu öffentlichen Wettbewerben in Hamburg, Berlin und München eingeladen. Obwohl wir uns bisher nur zu den Finalisten und noch nicht zu den Preisträgern zählen durften, waren diese Kooperationen sehr fruchtbar und lehr- wie motivationsreich. Wir möchten diese gemeinsamen Projekte in den kommenden Jahren unbedingt fortführen.

Jean-Hubert Martin Ich war sechs Jahre lang Leiter des Kunstpalasts in Düsseldorf.

Christina Landbrecht Leider habe ich nie in Frankreich gelebt und auch keine familiären Beziehungen dorthin. Aber ich liebe das Land sehr und versuche regelmäßig nach Paris zu fahren sowie die anderen Teile des Landes zu bereisen. Außerdem habe ich einige französische Freund*innen in Berlin und meine Tochter besucht eine trilinguale (französisch-deutsch-portugiesische) Kindertagesstätte.

 Jury PERSPEKTIVE <-> 2020 Making Spaces, Dinner-Talks, Berlin 2017 Perspektive
Making Spaces, Dinner-Talks, Berlin 2017

Welches PERSPEKTIVE-Projekt ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben und warum?

Eike Becker Da sind viele Veranstaltungen zu nennen. Das Make City Festival in Berlin (14. Juni – 1. Juli 2018) von Francesca Ferguson und Joanne Pouzenc war innerhalb der Jury intensiv diskutiert worden. Nach der erfolgreichen Umsetzung können wir uns freuen, zu den Förderern gehört zu haben.

Teilnehmer*innen: Christophe Catsaros, Paul Citron, Cyrille Hanappe, Sébastien Martinez Barat, Jean Philippe Vassal u.a.

Hélène Guenin Stärker als ein einzelnes Projekt hat sich im Laufe der Jahre ein Esprit bei mir eingeprägt: die Neuschaffung von Formaten und die Förderung von Projekten, die sich nicht in traditionellen Kategorien fassen lassen:  partizipative und selbstbestimmte Projekte; performative Symposien oder Dinner-Talks zu tiefgründigen gesellschaftlichen Anliegen.

Jacques Ferrier Von meiner Ausbildung und meiner Praxis her rufen die ausgezeichneten Einreichungen im Bereich Urbaner Raum jedes Jahr wieder besonderes Interesse bei mir hervor: Ich stelle fest, dass die Frage nach dem Sozialen und dem Kreativen jenseits jedes formalen Aprioris gestellt wird.

Jean-Hubert Martin Es fällt mir schwer, ein einzelnes Projekt hervorzuheben.

Christina Landbrecht Da ich erst im vergangenen Jahr der PERSPEKTIVE-Jury beigetreten bin, habe ich keinen sehr fachkundigen Einblick in viele PERSPEKTIVE-Projekte. Von denen, die in Berlin stattfanden, mochte ich aber „Make City“ sehr gerne. Es war ein erfrischendes, gelungenes Format, um die aktuelle Architekturszene in Berlin zu präsentieren und einem internationalen Publikum nahe zu bringen.

Könnten Sie uns Ihre bisherigen Erfahrungen im Rahmen der Jury PERSPEKTIVE in einem Satz zusammenfassen?

Eike Becker Die jährlichen Jurysitzungen sind für mich immer wieder ein mit Freude, Humor und Intensität geführtes, inspirierendes Ringen um die Förderung der besten Projekte.

Hélène Guenin Jedes Jahr sind die Diskussionen im Rahmen der Jurysitzung facettenreich, leidenschaftlich und engagiert; jede Einreichung wird mit größter Aufmerksamkeit, Wohlwollen und Neugierde besprochen. Es ist wirklich spannend, die Projekte durch die Erfahrung und Wahrnehmung jedes Einzelnen zu entdecken. Und schließlich macht es einfach große Freude, jedes Jahr wieder neue Projekte kennenzulernen, neue Schwerpunktsetzungen in den Bereichen Kunst und/oder Architektur zu beobachten, neue deutsch-französische Beziehungen zu initiieren oder zu festigen und sie begleiten zu dürfen.

Jacques Ferrier Ein äußerst offener Dialog mit Verantwortungsbewusstsein und Aufmerksamkeit für die vorgestellten Projekte.

Jean-Hubert Martin Eine professionelle wie sympathische Jury, die im Austausch und ih Diskussionen die besten Projekte ausfindig zu machen sucht.

Christina Landbrecht Die Jurysitzungen zeichnen sich aus durch kompetente, faire und differenzierte Diskussionen über spannende Projektanträge.

 Jury PERSPEKTIVE <-> 2020 A Governement of Times, Symposium - Ausstellung - Performance, Leipzig 2016, Foto: Claus Bach Perspektive
A Governement of Times, Symposium - Ausstellung - Performance, Leipzig 2016, Foto: Claus Bach

Welchen Mehrwert bringt Ihrer Meinung nach PERSPEKTIVE dem bereits bestehenden deutsch-französischen Austausch?

Eike Becker PERSPEKTIVE verbindet Architektur, Bildende Kunst und die Idee der Kooperation in einzigartiger, visionärer Weise. Eine sehr schlaue Form der Förderung kreativer Potentiale auf der Basis öffentlicher wie privater Partizipation in beiden Ländern. Einmal sichtbar im öffentlichen Raum, wird die Vision auch zur möglichen Quelle neuer kreativer Prozesse.

Hélène Guenin Über den finanziellen Aspekt hinaus, der manchmal entscheidend ist, sehe ich PERSPEKTIVE als Ermutigung – und nach einigen Jahren des Bestehens – als echtes „Label“, das für Qualität deutsch-französischer Erfahrung und des Austausches steht. Dies schafft Sichtbarkeit und macht weiteres Engagement in dieser besonderen Beziehung möglich.

Jacques Ferrier Es ist wichtig, dem deutsch-französischem Austausch Sichtbarkeit und Raum für Diskussion zu verschaffen; dies ist meines Erachtens nach neben der Auszeichnung der wesentliche Beitrag von PESRPEKTIVE.

Christina Landbrecht Der Fonds regt die Bewerber*innen dazu an, interdisziplinär zu denken. Viele Projekte sind getragen von Kollektiven sowie Projektideen, die innovative Vorstöße machen, um Kunst und Architektur enger aneinander zu rücken. Aber auch die Tatsache, dass die Projekte sowohl in Frankreich als auch in Deutschland stattfinden, bietet den Organisator*innen die einmalige Chance, unterschiedliche Meinungen und Perspektiven auf ihre Projekte einzuholen. Die Struktur des Programms ermöglicht Austausch par excellence.

 Jury PERSPEKTIVE <-> 2020 Hallo Festspiele, Hamburg 2018 Perspektive
Hallo Festspiele, Hamburg 2018

Welche*r Künstler*in / Architekt*in repräsentiert Ihrer Meinung nach derzeit Frankreich / Deutschland am besten?

Eike Becker Cyprien Gaillard.

Jacques Ferrier In einer Zeit der Unsicherheit über die Stellung zeitgenössischer Kunst innerhalb der Gesellschaft ist und bleibt Gerhard Richter eine Koryphäe, die im Laufe ihres Lebens viele Wege ausprobiert hat und ihrem eigenen Weg doch immer treu blieb.

Jean-Hubert Martin Ich mag diese Name Dropping-Fragen gar nicht. Ich bemühe mich, Künstler*innen ihrer selbst willen zu vertreten und nicht, weil sie ein Land repräsentieren.

Christina Landbrecht Das ist eine schwierige Frage, denn welche*r Künstler*in könnte schon die von so vielschichtigen Fragestellungen und Problemen heimgesuchten Länder Deutschland und Frankreich repräsentieren? Wenn es um eine interessante, künstlerische Auseinandersetzung mit den Themen, die uns hier In Berlin und Deutschland aktuell beschäftigen, geht, würde ich die Künstlerin Henrike Naumann nennen, die sich auf eine kluge Weise mit Themen wie Extremismus, rechten Gruppierungen wie den Reichsbürgern und der ostdeutschen Mentalität / Realität auseinandersetzt.

Ein französischer / deutscher Künstler / Architekt, der Ihnen besonders aufgefallen ist?

Eike Becker Edouard François, Dominique Marrec, Nicolas Ziesel, Guillaume Sibaud, Jean-Christoph Masson, Pierre Huyghe, Jean-Pascal Flavien, Jürgen Meyer H., Arno Brandlhuber.

Hélène Guenin Harun Farocki, der leider 2014 verstorben ist. Ein bedeutender Künstler und anspruchsvoller Filmemacher, dessen Werk auch heute noch junge Künstler*innengenerationen beeinflusst und der in der Lage war, sich äußerst präzise mit aktuellen Fragestellungen auseinanderzusetzen.

Christina Landbrecht Was französische Künstler*innen anbelangt, so verfolge ich seit geraumer Zeit die Arbeit von Julien Creuzet, Marguerite Humeau oder Jean-Pascal Flavien. Im Bereich der Architektur sind mir dort besonders die Projekte von Philippe Rahm aufgefallen. Eine Wiederentdeckung ist die Arbeit von Jacques Kalisz, der das brutalistische Centre National de la Danse im Nordosten von Paris gebaut hat. Ein großartiges Gebäude, das jüngst von den Architektinnen Antoinette Robain und Claire Guieyesse umfassend saniert wurde. Wenn ich mich an die Arbeiten deutscher Künstler*innen erinnere, so sind mir besonders die performativen Arbeiten von Anne Imhof im Gedächtnis geblieben, aber auch die surreal-düsteren Filme von Loretta Fahrenholz. Eine Künstlerin, die seit Jahren fantastische Arbeiten macht, ist Hito Steyerl. Beeindruckende Arbeit im Bereich der Architektur leistet das junge deutsche Architekturbüro Atelier ST aus Leipzig.

 Jury PERSPEKTIVE <-> 2020 Jean-Pascal Flavien, house with things behind, mit dem Bewohner Felix Utting, Heidelberger Kunstverein 2018, Courtesy of the artist and Esther Schipper, Berlin, Photo © Andrea Rossetti Perspektive
Jean-Pascal Flavien, house with things behind, mit dem Bewohner Felix Utting, Heidelberger Kunstverein 2018, Courtesy of the artist and Esther Schipper, Berlin, Photo © Andrea Rossetti

Eine aktuelle Ausstellung, die ich unbedingt empfehle.

Eike Becker Die Ausstellungen To Catch a Fich with a Song 1964 – Today von Hreinn Fridfinnsson und The Making of Husbands: Christina Ramberg in Dialogue im KW Institute for Contemporary Art in Berlin.

Hélène Guenin Dorothy Iannone im Centre Pompidou in Paris. Eine außergewöhnliche amerikanische Künstlerin, die seit den 1970er-Jahren in Berlin lebt.

Jacques Ferrier Aktuell Charlotte Perriand in der Fondation Louis Vuitton in Paris.

Jean-Hubert Martin Beyond Compare im Bode Museum in Berlin.

Christina Landbrecht Der Beitrag von Laure Prouvost im französischen Pavillon der Venedig Biennale 2019 hat mich nachhaltig beeindruckt. In Berlin würde ich derzeit die Ausstellung Ground Zero von Christopher Kulendran Thomas (in Zusammenarbeit mit Annika Kuhlmann) im Schinkel Pavillon empfehlen – und natürlich Anna Virnichs Hyperdrüse in der Schering Stiftung, die ich selbst kuratiert habe.