Black Lens
Black Light

Featured Image
Organisatoren: Archive Kabinett (Berlin), Khiasma (Paris)
Teilnehmer*innen:
Black Lens (Paris): Erika Balsom, Zach Blas, Christa Blümlinger,  Jephthé Carmil, The Otolith Group (Kodwo Eshun & Anjalika Sagar), Denise Ferreira da Silva, Ciaran Finlayson, Ayesha Hameed, Onyeka Igwe, Nadia Yala Kusikidi, Nadir Khanfour, Olivier Marboeuf, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Arjuna Neuman, Rachel O’Reilly, Lorenzo Pezzani, Ruth Wilson Gilmore & Mawena Yehouessi (Black(s) to the Future)
Black Light (Berlin): Phanuel Antwi, Eric de Bruyn, Mustafa Emin, Emma Haugh, Louis Henderson, Suza Husse, Quinsy Gario, Natasha Ginwala, Raphaël Grisey, Sabine Groenewegen, Bettina Malcomess, Diana McCarty, Doreen Mende, Jota Mombaça, Arjuna Neuman, Rachel O’Reilly, Camilla Rocha Campos, Krista Belle Stewart, Wendelien van Oldenborgh, Moro Yapha, Marika Yeo, Vivian Ziherl
Daten: März – Oktober 2018
Orte: Archive Kabinett (Berlin), Kinematek (Karlsruhe), La Colonie (Paris), MK2 Beaubourg (Paris)

Anlässlich der Ausstellung Op-Film: Eine Archäologie der Optik der Künstler*innen Filipa César und Louis Henderson im Espace Khiasma in Paris werden Khiasma und Archive Kabinett experimentelle Seminare in Paris und Berlin und einer zusätzlichen Veranstaltung in Karlsruhe organisieren, im Rahmen derer Filmvorführungen und audiovisuelle Performances aufstrebender Künstler*innen und Theoretiker*innen aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Portugal gezeigt werden. Es handelt sich hierbei um eine neue, erweiterte Form der Umsetzung eines Projekts, das bereits bei der Contour Biennale 2017 gemeinsam zwischen Berlin (Filipa César, Chiara Figone, Volker Pantenburg) und Paris (Louis Henderson, Olivier Marboeuf) konzipiert wurde, sich stetig weiterentwickelt und mit jedem neuen Schritt auch mehr Menschen einbezieht.

Die Seminare werden im Dialog miteinander und teilweise mit denselben Gastredner*innen entwickelt, verfolgen dabei aber jeweils spezifische Forschungslinien, die sich schließlich gegenseitig ergänzen werden. In Paris wird Black Lens die unterschiedlichen Sehtechnologien im Zeitalter der Geolokalisierung untersuchen und Minderheiten-Ökologien herausarbeiten, die Wissen zu schützen und zu teilen erlauben. Die gezeigten Kunstwerke und die Gespräche werfen diese Frage nach einer notwendigen Opazität, einer Ökologie des Schattens auf. Das Projekt legt das Augenmerk dabei auf die Notwendigkeit, die Geschichte der Technologien mit der Geschichte der Völker in Krisenzeiten in Relation zueinander zu setzen. Zeiten, in denen die Oberflächen der Ozeane zu Territorien des Konflikts und ihre Tiefen zu Räumen rücksichtsloser Ausbeutung, ungehörten Erzählungen und tragischer Szenen geworden sind.

In Berlin wird ein Workshop und das Seminar Black Light in Zusammenarbeit mit Volker Pantenburg vom Harun Farocki Institute die Bedeutung von Farockis Wirken auf visueller und intellektueller Ebene sowie seines materialistischen, Bildtechnologien kritisch gegenüberstehenden Ansatzes beleuchten. In Komplizenschaft mit der brasilianischen Theoretikern Denise Ferreira da Silva aus Vancouver werden Filipa César, Louis Henderson, Olivier Marboeuf (Direktor von Khiasma) und Chiara Figone (Direktorin von Archive Kabinett) drei Tage lang Filmscreenings, Lesungen und Workshops rund um die aus der postkolonialen Situation heraus erneut gestellten Frage nach sozialer Gerechtigkeit präsentieren. Was ist das Erbe der Aufklärung in Bezug auf die soziale und wirtschaftliche Organisation von Rechten und Besitztümern? Wie können wir sie dekonstruieren und gleichzeitig zeigen, wie sehr das radikale Licht der Vernunft, gestern wie heute, eine narrative Tarnung für ein System von Aneignung und Herrschaft ist? Wie können wir, in Anlehnung an feministische Theorien und Praktiken, Räume für Wohlwollen und Zusammenarbeit schaffen um einem gewaltsamen System zu entkommen, das die verfügbaren Ressourcen erschöpft?

  • 29.-30.3.2018: Seminar „Black Lens“ in La Colonie und Abendveranstaltung im MK2 Beaubourg, Paris
  • 28.-30.6.2018: Workshop „Black Light“ Archive Kabinett Berlin
  • 24.-26.10.2018: Seminar „Black Light“ Archive Kabinett Berlin
  • 25.10.2018, 19 Uhr: Screening „Odyssey“ von Sabine Groenewegen und Lecture von Jörgen “Unom” Gario, anschließende Gesprächsrunde, Archive Kabinett Berlin
  • 26.10.2018, 20 Uhr, Archive Kabinett Berlin: öffentliche Diskussionsrunde mit den Workshopteilnehmer*innen Phanuel Antwi, Eric de Bruyn, Mustafa Emin, Kodwo Eshun, Emma Haugh, Louis Henderson, Suza Husse, Quinsy Gario, Natasha Ginwala, Raphaël Grisey, Sabine Groenewegen, Bettina Malcomess, Diana McCarty, Doreen Mende, Jota Mombaça, Arjuna Neuman, Rachel O’Reilly, Camilla Rocha Campos, Krista Belle Stewart, Wendelien van Oldenborgh, Anjalika Sagar, Susanne M. Winterling, Moro Yapha, Marika Yeo und Vivian Ziherl:
    1- Records / Archives, Technologies of the Eye, the Sonic
    2- The Global Condition, Raw Materialism, Inscriptions,
    Extractivism, Transplants
    3- Collective practices, Body, Voice, Language / Translation

Interview:

Nach der Contour Biennal 8 in Mechelen, Gasworks in London und der Temporary Gallery in Köln hat der Espace Khiasma die Ausstellung Op-Film: Eine Archäologie der Optik von Filipa César (lebt und arbeitet in Berlin) und Louis Henderson (lebt und arbeitet in Paris) vom 29.3.-28.4.2018 in Les Lilas bei Paris gezeigt. Als Echo auf die Ausstellung haben Khiasma (Paris) und Archive Kabinett (Berlin) gemeinsam ein umfangreiches Rahmenprogramm in Form experimenteller Seminare mit Diskussionsrunden, Screenings, Workshops und Performances erstellt, dessen erster Teil Ende März in Frankreich stattgefunden hat und zweiter Teil vom 24. bis 28. Oktober in Berlin stattfinden wird.

Wir haben die Initiatoren Olivier Marboeuf von Khiasma und Chiara Figone von Archive Kabinett zum Gespräch getroffen.

 Black Lens <-> Black Light

“Op-Film: Eine Archäologie der Optik”, Plakat, Khiasma, 29.3.-28.4.2018

Wollt Ihr kurz beschreiben, wie es zu Eurem deutsch-französischen Austausch im Rahmen der Präsentation von Filipa César und Louis Henderson bei der Contour Biennale 8 in Belgien letztes Jahr kam?

Olivier Marboeuf Wir kannten uns bereits und teilen grundsätzlich viele gemeinsame Interessen, sowohl auf künstlerischer Ebene wie im Bereich der kritischen Theorien. Insbesondere das Interesse an den Möglichkeiten der Sichtbarmachung und Dekonstruktion von in der westlichen Kolonialgeschichte fußenden Denkstrukturen und Formen. Allgemeiner teilen unsere beiden Einrichtungen auch das Interesse am Politischen, nicht nur im Sinne des Gegenstands, sondern in seinen tatsächlichen Ausformungen in der Ökologie unserer Aktivitäten. Dies hat uns dazu ermutigt, unsere Zusammenarbeit in Form eines gemeinsamen Projekts mit Künstler*innen zu intensivieren, mit denen wir bereits unabhängig voneinander in unterschiedlichen Formaten (Publikationen, öffentliche Veranstaltungen, Produktion von Arbeiten) Projekte realisiert hatten.

Chiara Figone Diese Begegnung ist Teil eines langfristigen Engagements und Prozesses. Im Bewusstsein um kulturelle Verflechtungen, der Zirkulation der Welten und der Notwendigkeit grenzüberschreitender Maßnahmen – zu einer Zeit, in der Grenzen und Mauern mehr und mehr zunehmen – nehmen wir den Zusammenschluss und die -arbeit in den Blick, nicht nur als theoretischen Gegenstand, sondern auch als Praxis. Wir sind der Auffassung, dass Wissensproduktion im gemeinsamen, auf gegenseitigem Vertrauen basierenden Austausch entsteht. In unserer Zusammenarbeit versuchen wir, neue Methodologien und neue Sprachformen in Erwägung zu ziehen.

 Black Lens <-> Black Light Black Lens, Seminar, 29.-30. März 2018, La Colonie, Paris, Foto: Romain Goetz Perspektive

Black Lens, Seminar, 29.-30. März 2018, La Colonie, Paris, Foto: Romain Goetz

Woher kam das Bedürfnis, der Ausstellung gemeinsam noch diese diskursive Ebene des Austauschs zu verschaffen?

Olivier Marboeuf Das Format des Seminars hat sich in den letzten Jahren aus dem akademischen Feld in das künstlerische verlagert. Die Kunstszene – Künstler*innen, aber auch Kurator*innen und unterstützende Institutionen –  hat diesen Zeitpunkt genutzt, um Momente des gemeinsamen Denkens zu schaffen, in denen, freier als im universitären Kontext, die Formen des Gemeinsamen experimentiert werden können. Man kann sagen, dass diese Bewegung Ausdruck des Verlangens ist, sich der Isolation zu entziehen und sich vom heroischen Bild des Künstlers, der alles aus sich alleine heraus schafft, zu distanzieren. Zugleich ermöglichen sie den Kunstschaffenden, gemeinsam Formen zu entwickeln und in einem privilegierten Rahmen Erfahrungen zu sammeln. Auch für Akademiker*innen und Forscher*innen sind diese Momente freier und ermöglichen das Austesten anderer Formen des Schreibens und der Vermittlung. Die für uns ebenfalls interessanten Praktiken des Seminars liegen im langfristigen Aufbau transnationaler Allianzen zwischen Künstler*innen, Theoretiker*innen und Orten. Black Lens / Black Light ist hierfür ein schönes Beispiel.

Chiara Figone Wir denken das Ausstellungsformat zunächst als Forschungsgebiet, als lebendigen Ort des Denkens und des Handelns, als Ort des Dialogs zwischen den unterschiedlichen Teilnehmer*innen. Das Seminarformat knüpft an diese Konzeption an und steht in Dialog mit unseren verlegerischen Aktivitäten. Der gesetzte transdisziplinäre Ansatz erlaubt es uns, außerhalb des in sich abgeschlossenen akademischen Rahmens zu agieren und alternative und gemischte Formate zum bestehenden System zu denken.

Dieses Format macht es Euch auch möglich, sich den in der Ausstellung aufgeworfenen Fragen über das Optische und den Einfluss der technologischen Entwicklungen auf zwei sehr unterschiedliche Weisen anzunähern. Könntet Ihr Eure unterschiedlichen Zugänge etwas erläutern?

Olivier Marboeuf Oftmals steht hinter Ausstellungen wie OP-Film eine umfassende Forschungsarbeit, die, sobald die Arbeiten im künstlerischen Schaffensprozess Form annehmen, etwas in den Hintergrund gerät. Um den Film Sunstone und das begleitende Ausstellungsdisplay zu produzieren, haben Filipa César und Louis Henderson unzählige Dokumente zusammengetragen und Untersuchungslinien verfolgt. Op-Film diente uns also als Leitschema für das Seminar Black Lens und es umzusetzen bestand darin, die von César und Henderson aufgeworfenen Fragestellungen weiterzuverfolgen und durch weitere Einladungen von Künstler*innen und Theoretiker*innen anzuregen. Ihre Fragestellungen artikulieren sich rund um einen kritischen Ansatz neuen Sehtechnologien und der Produktion von Wirklichkeitsbildern gegenüber. Ein Bereich, der zwangsläufig auch bildende Künstler*innen in ihrem Versuch betrifft, selbst alternative Narrative schaffen zu wollen und die sich der vordergründig politischen, der kämpferischen Dimension jedweder Repräsentation von Wirklichkeit, ihres Einsatzes als Werkzeug der Kolonisation der Vorstellungswelt wie gleichzeitig der Bildung alternativer Möglichkeitsräume bewusst sind. Während der Berliner Ausgabe des Projekts – die durch eine Projektionsreihe in der Kinemathek in Karlsruhe ergänzt wird – geht es auch um den Versuch, die Methodologien neu zu denken. Mit der Theoretikerin Denise Ferreira da Silva und ihrem Universitätsprogramm in Vancouver (Kanada) stellen wir uns ausgehend von der sozialen Gerechtigkeit die Fragen nach kolonialer Gewalt und der Ökonomie der Sichtbarkeit. Das kommende Seminar entwickelt sich also in Nachbarschaft zu jenem in Paris, jedoch geht es dabei primär um die Möglichkeit, diese Formen der Begegnung im Laufe der Zeit in unterschiedlichen Bereichen umzusetzen. Es handelt sich insofern um ein strategisches Unterfangen, welches die Grundlagen für alle weiteren Aktivitäten schaffen soll.

 Black Lens <-> Black Light Olivier Marboeuf, Black Lens, Seminar, 29.-30. März 2018, La Colonie, Paris, Foto: Romain Goetz Perspektive

Olivier Marboeuf, Black Lens, Seminar, 29.-30. März 2018, La Colonie, Paris, Foto: Romain Goetz

 

Was und wer wird uns Ende des Monats in Berlin genau erwarten?

Olivier Marboeuf Hier werden Fachleute zusammentreffen, die um die kulturelle, politische und materielle Situation in Europa und generell in den Industrieländern besorgt sind. Spezifischer um das Auftreten eines rassistischen, xenophoben und sexistischen Diskurses. Es wird um das Verlangen nach der Schaffung sicherer Orte und die Suche nach alternativen Formen zu einer dem neoliberalen Markt unterworfenen Kunst gehen. Ebenfalls wird die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit südlichen Ländern, insbesondere den Kontinenten Afrikas und Südamerikas angesprochen. Außerdem sehen wir uns Filme, Performances und alternative Ausdrucksformen unserer Gegenwart an.

Chiara Figone Während unseres Austausches werden wir auf mehreren Ebenen arbeiten. Einerseits denken wir gemeinsam über die Möglichkeit der Bildung eines grenzüberschreitenden Forschungs- und Produktionsnetzwerks nach und andererseits stellen wir gleichzeitig deren Öffnung dem Publikum gegenüber her. Im Gespräch befragen wir unter folgenden systematischen Gesichtspunkten die Welt von heute: den Kapitalismus als auf einem Rassifizierungsprozess fundiertes und damit von unterschiedlichen Formen des Rassismus untrennbares System denkend, das moderne eurozentrische Denken als intrinsischer Teil dieses Machtregimes und die Kolonialität der Macht als Dynamik, die sich in bestimmten ökonomische und politischen Modellen wie Formen der Wissensproduktion fortsetzen. Wir werden Wege mit unterschiedlichen Momenten der Restitution in Raum und Zeit, kurz- wie langfristig nachzeichnen.

Vielen Dank für das Gespräch, wir freuen uns sehr auf die kommenden Veranstaltungen im Archive Kabinett in Berlin!

 Black Lens <-> Black Light Black Lens, Seminar, 29.-30. März 2018, La Colonie, Paris, Foto: Romain Goetz Perspektive

Black Lens, Seminar, 29.-30. März 2018, La Colonie, Paris, Foto: Romain Goetz

TERMINE

  • 29.-30.3.2018: Seminar „Black Lens“ in La Colonie und Abendveranstaltung im MK2 Beaubourg, Paris
  • 28.-30.6.2018: Workshop „Black Light“ Archive Kabinett Berlin
  • 24.-26.10.2018: Seminar „Black Light“ Archive Kabinett Berlin
  • 25.10.2018, 19 Uhr: Screening „Odyssey“ von Sabine Groenewegen und Lecture von Jörgen “Unom” Gario, anschließende Gesprächsrunde, Archive Kabinett Berlin
  • 26.10.2018, 20 Uhr, Archive Kabinett Berlin: öffentliche Diskussionsrunde mit den Workshopteilnehmer*innen Phanuel Antwi, Eric de Bruyn, Mustafa Emin, Kodwo Eshun, Emma Haugh, Louis Henderson, Suza Husse, Quinsy Gario, Natasha Ginwala, Raphaël Grisey, Sabine Groenewegen, Bettina Malcomess, Diana McCarty, Doreen Mende, Jota Mombaça, Arjuna Neuman, Rachel O’Reilly, Camilla Rocha Campos, Krista Belle Stewart, Wendelien van Oldenborgh, Anjalika Sagar, Susanne M. Winterling, Moro Yapha, Marika Yeo und Vivian Ziherl:
    1- Records / Archives, Technologies of the Eye, the Sonic
    2- The Global Condition, Raw Materialism, Inscriptions,
    Extractivism, Transplants
    3- Collective practices, Body, Voice, Language / Translation

     


Das Gespräch wurde im Oktober 2018 mit Stefanie Steps, Kulturbeauftragte des Bureau des arts plastiques, geführt.

Your North is
my South

Featured Image
Organisatoren: Museum für Neue Kunst (Freiburg), La Kunsthalle (Mülhausen)
Künstler*innen: Maximilian Arnold, Bertille Bak, Patrick Alan Banfield, Michael Bielicky & Kamila B. Richter, Chto Delat, Simon Denny, Tobias Donat, Louise Drulhe, Gil&Mot, Jan Kopp, Georgia Kotretsos, Asad J. Malik (1RIC), Jon Rafman, Katrin Ströbel, Youssef Tabti, Clarissa Tossin, Maarten Vanden Eynde, Carly Whitaker
Kuratorinnen: Elena Frickmann, Christine Litz, Sandrine Wymann
Daten: April – November 2018
Orte: Museum für Neue Kunst (Freiburg), La Kunsthalle (Mülhausen)

Die Städte Freiburg im Breisgau in Deutschland und Mülhausen in Frankreich liegen beide auf dem 47. Breitengrad und sind nur 47 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Man könnte meinen, die geo-graphische Nähe dieser beiden Städte vereine sie in vielerlei Hinsicht. Dennoch gibt es große Unterschiede in der Wahrnehmung beider Orte. Beispielsweise durch die geografische Lage in ihrem jeweiligen Land: Während Freiburg der Süden Deutschlands ist und den Ruf genießt, ein milderes Klima zu haben, liegt Mülhausen im Norden Frankreichs und wird von den Franzosen als eher kühlere Region wahrgenommen. Die Verortung innerhalb nationaler Grenzen beeinflusst also maßgeblich die Rezeption dieser beiden Orte.

Ausgehend von diesen Beobachtungen versucht das gemeinsame Ausstellungsprojekt Your North is my South im Museum für Neue Kunst in Freiburg und La Kunsthalle in Mülhausen den Einfluss des geografischen – und darüber hinaus des nicht-geografischen (virtuellen) – Raums auf die Wahrnehmung zu diskutieren und zu zeigen, wie geopolitische, soziale und wirtschaftliche Relationen zwischen Städten, Nationen und ganzen Kontinenten unsere Wahrnehmung beeinflussen – nicht nur unserer äußeren Realität, sondern auch unserer eigenen Identität. Um das Lokale in einen globalen Kontext zu überführen, in dem unsere heutige Welt vernetzt ist, werden internationale zeitgenössische Künstler*innen, die an Schnittstellen dieser Schlüsselbegriffe arbeiten, Werke an beiden Orten zeigen.

Gleichzeitig soll das Projekt den Austausch zwischen Mülhausen und Freiburg fördern, indem ein eng verzahntes Programm mit Partnerinstitutionen, Organisationen und lokalen Gruppen zur Überwindung der geografischen und sprachlichen Distanz, organisiert wird. Vorträge von Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Expert*innen aus verschiedenen Bereichen innerhalb dieser Thematik führen zu Diskussionen, um Kunst und Wissenschaft miteinander zu verknüpfen und so ihre gesellschaftliche Relevanz zu verdeutlichen.

  • 28.04.2018–7.10.2018: Ausstellung Museum für Neue Kunst Freiburg
  • 13.09.2018–11.11.2018: Ausstellung La Kunsthalle Mulhouse

Busse werden zwischen Mulhouse und Freiburg eingesetzt, um dem Publikum zu ermöglichen, beide Ausstellungen zu besichtigen.

Interview mit der Kuratorinnen:

Ausgangspunkt der deutsch-französischen Kooperation im Rahmen des Ausstellungsprojekts Your North Is My South / Mon Nord est Ton Sud ist die Feststellung, dass die Wahrnehmung zweier Städte, obwohl sie auf demselben Breitengrad liegen und nur knappe 50 Kilometer voneinander entfernt sind, entsprechend der unterschiedlichen Bezugsrahmen nahezu konträre Wahrnehmung auslösen können: Während die Stadt Mülhausen nördlich in Frankreich als vergleichsweise kühle Region wahrgenommen wird, wird Freiburg im Süden von Deutschland ein sehr mildes Klima zugesprochen. Diesem Phänomen haben sich das Museum für Neue Kunst in Freiburg und La Kunsthalle in Mülhausen gemeinsam gewidmet: Der erste Teil der Kooperation wurde von 28. April bis zum 7. Oktober im Museum für neue Kunst, der zweite Teil seit 13. September in La Kunsthalle gezeigt und ist da noch bis zum 11. November zu sehen.
Wir haben mit den Kuratorinnen Christine Litz und Elena Frickmann (Museum für Neue Kunst) und Sandrine Wymann (La Kunsthalle) rückblickend über das gemeinsame Projekt gesprochen.
 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN  Perspektive

 

Ich habe einleitend bereits den Ausgangspunkt Ihrer Zusammenarbeit erwähnt, könnten Sie uns noch im Detail verraten wie es zu dieser Kooperation und zu dem gemeinsamen Ausstellungskonzept kam?

Sandrine Wymann Die Idee an dem Thema zu arbeiten beruht auf einer Anekdote: Vor ein paar Jahren, es war Mai, war ich in Berlin bei Freunden, die gerade für ihren Urlaub in Freiburg gepackt haben. Im Koffer war nur sehr leichte Kleidung und da habe ich mir erlaubt hinzuzufügen, dass ich das Reiseziel sehr gut kenne und dass es wohl ratsam wäre, wärmere Sachen einzupacken. Sofort kam die Antwort, dass sie ja aber in den Süden fahren und das nicht nötig sei. Und ja, das hat mich belustigt (war es doch das erste Mal dass jemand meinte, nach Mülhausen „in den Süden“ zu fahren), und zugleich hat es mich über die an die vom geografischen Standort abhängige subjektive Wahrnehmung und die impliziten Auswirkungen der Lage auf die Beziehung zwischen einer Stadt und ihrer Bewohner*innen nachdenken lassen. Es schien mir, als hätte man einen anderen Bezug zu seiner Stadt, nimmt man sie als im Süden oder im Norden gelegen wahr. Als ich die Geschichte Christine Litz erzählte, waren wir uns einig, dass dies ein schönes Thema ist, um gemeinsam daran zu arbeiten und als Ausgangspunkt für eine Untersuchung über den Begriff der Grenze und der subjektiven Wahrnehmungen dienen könnte.

Christine Litz Uns interessieren die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten, die sich aus dieser geografischen Nähe ergeben. Der lokale Ausgangspunkt unserer Nachbarschaft eignet sich, das Vertraute und vermeintlich Bekannte zu erkunden und gleichzeitig aber auch den Blick zu weiten und andere globale Nachbarschaften in den Blick zu nehmen. Das macht den besonderen Reiz unserer Zusammenarbeit aus: Sie ist greifbar, vor Ort, nachvollziehbar, ist aber zugleich beispielhaft und hat modellhaften Charakter.

 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN Your North is my South, Museum für Neue Kunst, Ausstellungsansicht 2018, Foto: Bernhard Strauss Perspektive

Your North is my South, Museum für Neue Kunst, Ausstellungsansicht 2018, Foto: Bernhard Strauss

Zugleich sind die beiden kuratorischen Ansätze klar definiert und voneinander abgegrenzt: Während La Kunsthalle Mulhouse sich dem real-geografischen Raum widmet, untersucht das Museum für neue Kunst den virtuellen, nicht-geografischen Raum. Könnten Sie diese unterschiedlichen Ansätze erläutern? Wie hat sich in der gemeinsamen Erarbeitung diese Unterscheidung herausgestellt und wie konnten sich die beiden Analysen gegenseitig befruchten?

Sandrine Wymann Es wurde uns bewusst, dass unsere beiden Konzepte komplementär und zugleich unabhängig funktionieren müssen. Aus mehreren Gründen lag es näher eine gemeinsame Logik in den beiden Ausstellungen herzustellen als eine direkte Verflechtung. Schließlich hat das Museum für Neue Kunst den virtuellen Raum zum Gegenstand genommen, in dem die Grenze nicht sehr stark thematisiert bis negiert wird, während ich in La Kunsthalle die Grenze als wiederkehrende und unumgängliche Liniensetzung in den Mittelpunkt der Ausstellung stellte. Die Grenze nicht als Hindernis aber stets als In-Beziehung- oder In-Relation-Setzung. Die Werke positionieren sich in vielfältigen – politischen, körperlichen, sprachlichen, wirtschaftlichen, touristischen etc. – Räumen und stets entstehen dabei duale oder plurale Wahrnehmungsformen. Unsere an den geografischen Raum gebundene alltägliche Erfahrung hat den Ausgangspunkt des Projekts gebildet, die Phänomene können aber sehr leicht auf andere Räume übertragen und individuell oder kollektiv gedeutet werden.

Elena Frickmann Im Zuge der kuratorischen Recherche sind wir an einen Punkt gelangt, an dem klar wurde, dass neben dem geografischen Raum ein weiterer existiert, den man nicht ignorieren kann. Ich denke, man konnte dies sehr gut im Rahmen der US-Wahlen 2016 beobachten: Dass eine Nation an der Beeinflussung der demokratischen Wahlen einer anderen Nation interessiert ist und zu ihren Gunsten steuern möchte und dazu das Internet und den Einsatz von Social Bots oder Webtrollen in den dortigen Sozialen Medien erfolgreich nutzt, das ist eine ganz neue Form der politischen Beeinflussung, ja eines Cyber- bzw. Informationskriegs, der territoriale Einschränkungen längst hinter sich gelassen hat. Dieser „Krieg“ wird nicht auf dem Boden ausgetragen, sondern an einem nicht-physischen Ort. Trotzdem aber hat er wiederum geopolitische Konsequenzen, trennen kann man diese beiden Räume also nicht.

 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN Mon Nord est Ton Sud, La Kunsthalle Mulhouse, Ausstellungsansicht 2018, © La Kunsthalle, Foto: Sébastien Bozon Perspektive

Mon Nord est Ton Sud, La Kunsthalle Mulhouse, Ausstellungsansicht 2018, © La Kunsthalle, Foto: Sébastien Bozon

Neben den Ausstellungsprojekten selbst haben Sie ein deutsch-französisches Vermittlungsprogramm entwickelt und Gruppen aus unterschiedlichen Bereichen eingeladen, sich die beiden Ausstellungen anzusehen. Welche Zusammenkünfte haben stattgefunden und welche Reaktionen gab es dabei?

Sandrine Wymann Wir haben Shuttles organisiert, die französischen und deutschen Besucher*innen den Besuch beider Ausstellungen ermöglichen. Von Anfang an war es uns ein großes Anliegen, die Grenzüberschreitung zwischen den beiden Städten so einfach wie möglich zu gestalten und unsere Nähe aufzuzeigen. Dazu sei gesagt, dass wir im Alltag dabei mit konkreten Hindernissen konfrontiert waren: die lange Zugfahrt, die teuren Ticketpreise, die sprachlichen Probleme…  Dennoch haben die gegenseitigen Besuche stattgefunden und freilich handelt es sich um eine absolut positive Erfahrung, die wir gewonnen haben. Wir möchten dieses Entgegenkommen gegenüber dem Freiburger Publikum in Mühlhausen weiter stärken und suchen bereits darüber hinaus nach Möglichkeiten solche Busse auch für zukünftige Ausstellungen bereitzustellen.

Elena Frickmann Ja, genau. Zum einen haben wir an Sonntagen einen kostenfreien Shuttle zur Verfügung gestellt, damit das Publikum beider Institutionen die Möglichkeit erhält und dazu animiert wird, die jeweils andere Institution zu besuchen und damit einen gesamten Überblick über das Ausstellungsthema zu gewinnen. Darüber hinaus haben wir gezielt lokale Gruppen, Schulen, und Vereine angesprochen und ihnen ein kostenfreies Programm angeboten. Dabei haben sich beispielsweise zwei bilinguale Grundschulklassen aus Mulhouse und Freiburg im Museum für Neue Kunst getroffen und mit ihren Lehrer*innen und Museumspädagog*innen gemeinsam die Ausstellung erkundet. Aus diesem Treffen sind Brieffreundschaften zwischen den deutschen und den französischen Schüler*innen entstanden. Ein anderes Treffen fand zwischen Verwaltungsangestellten der beiden Städte in der Ausstellung der Kunsthalle statt. Die Mitarbeiter der Stadt Mulhouse haben ihre Freiburger Kolleg*innen mit einem selbstgemachten Mittagessen empfangen und im Anschluss wurde die Ausstellung gemeinsam besucht. Wir wollten mit diesen Treffen unsere jeweiligen Nachbarn kennenlernen, gemeinsame Interessen entdecken, ein gutes und vielleicht ja andauerndes Verhältnis aufbauen und im Sinne des europäischen Gedanken ein Zeichen für grenzüberschreitende Gemeinschaft setzen.

 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN Your North is my South, Museum für Neue Kunst, Ausstellungsansicht 2018, Foto: Bernhard Strauss Perspektive

Your North is my South, Museum für Neue Kunst, Ausstellungsansicht 2018, Foto: Bernhard Strauss

Welche  Erkenntnisse ziehen Sie aus dem deutsch-französischen Austausch und haben die Analysen der Kontextabhängigkeit von Wirklichkeitswahrnehmung auch Ihre persönlichen Wahrnehmungsformen verändert?

Sandrine Wymann Ich muss für mich sagen, die Ausstellung hat meine Ausgangsintuition bestätigt: die kulturellen Unterschiede machen sich nahezu überall bemerkbar. Wir sind durch unseren historischen und sprachlichen Kontext, unsere individuellen Biografien und unsere kulturellen Hintergründe geprägt. Wir leben diese Unterschiede alltäglich und unser grenzübergreifender Kontext hat es uns erlaubt, von einer sehr konkreten Realität auszugehen, die für unsere Besucher*innen leicht nachvollziehbar ist. Ich hoffe, dass die Ausstellung sie einen Schritt darüber hinausführt und sie dies Unterschiede und ihre Bedeutung überdenken lässt. Sich ihrer Komplexität und Notwendigkeit bewusst zu werden und sich ihnen anzunähern ohne sie notwendigerweise verstehen zu müssen, vor allem sie nicht zu negieren scheint mir die eigentliche gesellschaftliche Herausforderung.

Elena Frickmann Interessant war zu beobachten, dass beide Ausstellungen die Wahrnehmung nochmals geschärft haben. In Mulhouse insbesondere das Bewusstsein für den eigenen geografischen Standort und dafür, dass man Teil einer globalen Gemeinschaft ist, was einem im Alltag oftmals verloren geht. Sandrine war dieser Aspekt sehr wichtig und sie hat ihn fantastisch umgesetzt. In Freiburg wurde aufgezeigt, wie groß der Einfluss des digitalen Raums auf zahlreiche Kontexte des eigenen Lebens ist und welche Chancen, aber auch Risiken damit einhergehen. Dass dieser Raum ebenso starke Konsequenzen für uns hat, wie unser geografisches Umfeld. Auf der Ebene des Austauschs können wir auf ein erfolgreiches Projekt zurückblicken, das uns ein Stück näher zusammengebracht hat und bei dem wir einiges voneinander gelernt haben. So groß unsere Gemeinsamkeiten sind, so groß sind dennoch oft die Unterschiede und darin liegt der Gewinn solcher Kooperationsprojekte.

 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN Mon Nord est Ton Sud, La Kunsthalle Mulhouse, Ausstellungsansicht 2018, © La Kunsthalle, Foto: Sébastien Bozon Perspektive

Mon Nord est Ton Sud, La Kunsthalle Mulhouse, Ausstellungsansicht 2018, © La Kunsthalle, Foto: Sébastien Bozon

Das Gespräch wurde im Oktober 2018 mit Stefanie Steps, Kulturbeauftragte des Bureau des arts plastiques, geführt.