Your North is
my South

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Organisatoren: Museum für Neue Kunst (Freiburg), La Kunsthalle (Mülhausen)
Künstler*innen: Maximilian Arnold, Bertille Bak, Patrick Alan Banfield, Michael Bielicky & Kamila B. Richter, Chto Delat, Simon Denny, Tobias Donat, Louise Drulhe, Gil&Mot, Jan Kopp, Georgia Kotretsos, Asad J. Malik (1RIC), Jon Rafman, Katrin Ströbel, Youssef Tabti, Clarissa Tossin, Maarten Vanden Eynde, Carly Whitaker
Kuratorinnen: Elena Frickmann, Christine Litz, Sandrine Wymann
Daten: April – November 2018
Orte: Museum für Neue Kunst (Freiburg), La Kunsthalle (Mülhausen)

Die Städte Freiburg im Breisgau in Deutschland und Mülhausen in Frankreich liegen beide auf dem 47. Breitengrad und sind nur 47 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Man könnte meinen, die geo-graphische Nähe dieser beiden Städte vereine sie in vielerlei Hinsicht. Dennoch gibt es große Unterschiede in der Wahrnehmung beider Orte. Beispielsweise durch die geografische Lage in ihrem jeweiligen Land: Während Freiburg der Süden Deutschlands ist und den Ruf genießt, ein milderes Klima zu haben, liegt Mülhausen im Norden Frankreichs und wird von den Franzosen als eher kühlere Region wahrgenommen. Die Verortung innerhalb nationaler Grenzen beeinflusst also maßgeblich die Rezeption dieser beiden Orte.

Ausgehend von diesen Beobachtungen versucht das gemeinsame Ausstellungsprojekt Your North is my South im Museum für Neue Kunst in Freiburg und La Kunsthalle in Mülhausen den Einfluss des geografischen – und darüber hinaus des nicht-geografischen (virtuellen) – Raums auf die Wahrnehmung zu diskutieren und zu zeigen, wie geopolitische, soziale und wirtschaftliche Relationen zwischen Städten, Nationen und ganzen Kontinenten unsere Wahrnehmung beeinflussen – nicht nur unserer äußeren Realität, sondern auch unserer eigenen Identität. Um das Lokale in einen globalen Kontext zu überführen, in dem unsere heutige Welt vernetzt ist, werden internationale zeitgenössische Künstler*innen, die an Schnittstellen dieser Schlüsselbegriffe arbeiten, Werke an beiden Orten zeigen.

Gleichzeitig soll das Projekt den Austausch zwischen Mülhausen und Freiburg fördern, indem ein eng verzahntes Programm mit Partnerinstitutionen, Organisationen und lokalen Gruppen zur Überwindung der geografischen und sprachlichen Distanz, organisiert wird. Vorträge von Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Expert*innen aus verschiedenen Bereichen innerhalb dieser Thematik führen zu Diskussionen, um Kunst und Wissenschaft miteinander zu verknüpfen und so ihre gesellschaftliche Relevanz zu verdeutlichen.

  • 28.04.2018–7.10.2018: Ausstellung Museum für Neue Kunst Freiburg
  • 13.09.2018–11.11.2018: Ausstellung La Kunsthalle Mulhouse

Busse werden zwischen Mulhouse und Freiburg eingesetzt, um dem Publikum zu ermöglichen, beide Ausstellungen zu besichtigen.

Interview mit der Kuratorinnen:

Ausgangspunkt der deutsch-französischen Kooperation im Rahmen des Ausstellungsprojekts Your North Is My South / Mon Nord est Ton Sud ist die Feststellung, dass die Wahrnehmung zweier Städte, obwohl sie auf demselben Breitengrad liegen und nur knappe 50 Kilometer voneinander entfernt sind, entsprechend der unterschiedlichen Bezugsrahmen nahezu konträre Wahrnehmung auslösen können: Während die Stadt Mülhausen nördlich in Frankreich als vergleichsweise kühle Region wahrgenommen wird, wird Freiburg im Süden von Deutschland ein sehr mildes Klima zugesprochen. Diesem Phänomen haben sich das Museum für Neue Kunst in Freiburg und La Kunsthalle in Mülhausen gemeinsam gewidmet: Der erste Teil der Kooperation wurde von 28. April bis zum 7. Oktober im Museum für neue Kunst, der zweite Teil seit 13. September in La Kunsthalle gezeigt und ist da noch bis zum 11. November zu sehen.
Wir haben mit den Kuratorinnen Christine Litz und Elena Frickmann (Museum für Neue Kunst) und Sandrine Wymann (La Kunsthalle) rückblickend über das gemeinsame Projekt gesprochen.
 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN  Perspektive

 

Ich habe einleitend bereits den Ausgangspunkt Ihrer Zusammenarbeit erwähnt, könnten Sie uns noch im Detail verraten wie es zu dieser Kooperation und zu dem gemeinsamen Ausstellungskonzept kam?

Sandrine Wymann Die Idee an dem Thema zu arbeiten beruht auf einer Anekdote: Vor ein paar Jahren, es war Mai, war ich in Berlin bei Freunden, die gerade für ihren Urlaub in Freiburg gepackt haben. Im Koffer war nur sehr leichte Kleidung und da habe ich mir erlaubt hinzuzufügen, dass ich das Reiseziel sehr gut kenne und dass es wohl ratsam wäre, wärmere Sachen einzupacken. Sofort kam die Antwort, dass sie ja aber in den Süden fahren und das nicht nötig sei. Und ja, das hat mich belustigt (war es doch das erste Mal dass jemand meinte, nach Mülhausen „in den Süden“ zu fahren), und zugleich hat es mich über die an die vom geografischen Standort abhängige subjektive Wahrnehmung und die impliziten Auswirkungen der Lage auf die Beziehung zwischen einer Stadt und ihrer Bewohner*innen nachdenken lassen. Es schien mir, als hätte man einen anderen Bezug zu seiner Stadt, nimmt man sie als im Süden oder im Norden gelegen wahr. Als ich die Geschichte Christine Litz erzählte, waren wir uns einig, dass dies ein schönes Thema ist, um gemeinsam daran zu arbeiten und als Ausgangspunkt für eine Untersuchung über den Begriff der Grenze und der subjektiven Wahrnehmungen dienen könnte.

Christine Litz Uns interessieren die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten, die sich aus dieser geografischen Nähe ergeben. Der lokale Ausgangspunkt unserer Nachbarschaft eignet sich, das Vertraute und vermeintlich Bekannte zu erkunden und gleichzeitig aber auch den Blick zu weiten und andere globale Nachbarschaften in den Blick zu nehmen. Das macht den besonderen Reiz unserer Zusammenarbeit aus: Sie ist greifbar, vor Ort, nachvollziehbar, ist aber zugleich beispielhaft und hat modellhaften Charakter.

 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN Your North is my South, Museum für Neue Kunst, Ausstellungsansicht 2018, Foto: Bernhard Strauss Perspektive

Your North is my South, Museum für Neue Kunst, Ausstellungsansicht 2018, Foto: Bernhard Strauss

Zugleich sind die beiden kuratorischen Ansätze klar definiert und voneinander abgegrenzt: Während La Kunsthalle Mulhouse sich dem real-geografischen Raum widmet, untersucht das Museum für neue Kunst den virtuellen, nicht-geografischen Raum. Könnten Sie diese unterschiedlichen Ansätze erläutern? Wie hat sich in der gemeinsamen Erarbeitung diese Unterscheidung herausgestellt und wie konnten sich die beiden Analysen gegenseitig befruchten?

Sandrine Wymann Es wurde uns bewusst, dass unsere beiden Konzepte komplementär und zugleich unabhängig funktionieren müssen. Aus mehreren Gründen lag es näher eine gemeinsame Logik in den beiden Ausstellungen herzustellen als eine direkte Verflechtung. Schließlich hat das Museum für Neue Kunst den virtuellen Raum zum Gegenstand genommen, in dem die Grenze nicht sehr stark thematisiert bis negiert wird, während ich in La Kunsthalle die Grenze als wiederkehrende und unumgängliche Liniensetzung in den Mittelpunkt der Ausstellung stellte. Die Grenze nicht als Hindernis aber stets als In-Beziehung- oder In-Relation-Setzung. Die Werke positionieren sich in vielfältigen – politischen, körperlichen, sprachlichen, wirtschaftlichen, touristischen etc. – Räumen und stets entstehen dabei duale oder plurale Wahrnehmungsformen. Unsere an den geografischen Raum gebundene alltägliche Erfahrung hat den Ausgangspunkt des Projekts gebildet, die Phänomene können aber sehr leicht auf andere Räume übertragen und individuell oder kollektiv gedeutet werden.

Elena Frickmann Im Zuge der kuratorischen Recherche sind wir an einen Punkt gelangt, an dem klar wurde, dass neben dem geografischen Raum ein weiterer existiert, den man nicht ignorieren kann. Ich denke, man konnte dies sehr gut im Rahmen der US-Wahlen 2016 beobachten: Dass eine Nation an der Beeinflussung der demokratischen Wahlen einer anderen Nation interessiert ist und zu ihren Gunsten steuern möchte und dazu das Internet und den Einsatz von Social Bots oder Webtrollen in den dortigen Sozialen Medien erfolgreich nutzt, das ist eine ganz neue Form der politischen Beeinflussung, ja eines Cyber- bzw. Informationskriegs, der territoriale Einschränkungen längst hinter sich gelassen hat. Dieser „Krieg“ wird nicht auf dem Boden ausgetragen, sondern an einem nicht-physischen Ort. Trotzdem aber hat er wiederum geopolitische Konsequenzen, trennen kann man diese beiden Räume also nicht.

 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN Mon Nord est Ton Sud, La Kunsthalle Mulhouse, Ausstellungsansicht 2018, © La Kunsthalle, Foto: Sébastien Bozon Perspektive

Mon Nord est Ton Sud, La Kunsthalle Mulhouse, Ausstellungsansicht 2018, © La Kunsthalle, Foto: Sébastien Bozon

Neben den Ausstellungsprojekten selbst haben Sie ein deutsch-französisches Vermittlungsprogramm entwickelt und Gruppen aus unterschiedlichen Bereichen eingeladen, sich die beiden Ausstellungen anzusehen. Welche Zusammenkünfte haben stattgefunden und welche Reaktionen gab es dabei?

Sandrine Wymann Wir haben Shuttles organisiert, die französischen und deutschen Besucher*innen den Besuch beider Ausstellungen ermöglichen. Von Anfang an war es uns ein großes Anliegen, die Grenzüberschreitung zwischen den beiden Städten so einfach wie möglich zu gestalten und unsere Nähe aufzuzeigen. Dazu sei gesagt, dass wir im Alltag dabei mit konkreten Hindernissen konfrontiert waren: die lange Zugfahrt, die teuren Ticketpreise, die sprachlichen Probleme…  Dennoch haben die gegenseitigen Besuche stattgefunden und freilich handelt es sich um eine absolut positive Erfahrung, die wir gewonnen haben. Wir möchten dieses Entgegenkommen gegenüber dem Freiburger Publikum in Mühlhausen weiter stärken und suchen bereits darüber hinaus nach Möglichkeiten solche Busse auch für zukünftige Ausstellungen bereitzustellen.

Elena Frickmann Ja, genau. Zum einen haben wir an Sonntagen einen kostenfreien Shuttle zur Verfügung gestellt, damit das Publikum beider Institutionen die Möglichkeit erhält und dazu animiert wird, die jeweils andere Institution zu besuchen und damit einen gesamten Überblick über das Ausstellungsthema zu gewinnen. Darüber hinaus haben wir gezielt lokale Gruppen, Schulen, und Vereine angesprochen und ihnen ein kostenfreies Programm angeboten. Dabei haben sich beispielsweise zwei bilinguale Grundschulklassen aus Mulhouse und Freiburg im Museum für Neue Kunst getroffen und mit ihren Lehrer*innen und Museumspädagog*innen gemeinsam die Ausstellung erkundet. Aus diesem Treffen sind Brieffreundschaften zwischen den deutschen und den französischen Schüler*innen entstanden. Ein anderes Treffen fand zwischen Verwaltungsangestellten der beiden Städte in der Ausstellung der Kunsthalle statt. Die Mitarbeiter der Stadt Mulhouse haben ihre Freiburger Kolleg*innen mit einem selbstgemachten Mittagessen empfangen und im Anschluss wurde die Ausstellung gemeinsam besucht. Wir wollten mit diesen Treffen unsere jeweiligen Nachbarn kennenlernen, gemeinsame Interessen entdecken, ein gutes und vielleicht ja andauerndes Verhältnis aufbauen und im Sinne des europäischen Gedanken ein Zeichen für grenzüberschreitende Gemeinschaft setzen.

 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN Your North is my South, Museum für Neue Kunst, Ausstellungsansicht 2018, Foto: Bernhard Strauss Perspektive

Your North is my South, Museum für Neue Kunst, Ausstellungsansicht 2018, Foto: Bernhard Strauss

Welche  Erkenntnisse ziehen Sie aus dem deutsch-französischen Austausch und haben die Analysen der Kontextabhängigkeit von Wirklichkeitswahrnehmung auch Ihre persönlichen Wahrnehmungsformen verändert?

Sandrine Wymann Ich muss für mich sagen, die Ausstellung hat meine Ausgangsintuition bestätigt: die kulturellen Unterschiede machen sich nahezu überall bemerkbar. Wir sind durch unseren historischen und sprachlichen Kontext, unsere individuellen Biografien und unsere kulturellen Hintergründe geprägt. Wir leben diese Unterschiede alltäglich und unser grenzübergreifender Kontext hat es uns erlaubt, von einer sehr konkreten Realität auszugehen, die für unsere Besucher*innen leicht nachvollziehbar ist. Ich hoffe, dass die Ausstellung sie einen Schritt darüber hinausführt und sie dies Unterschiede und ihre Bedeutung überdenken lässt. Sich ihrer Komplexität und Notwendigkeit bewusst zu werden und sich ihnen anzunähern ohne sie notwendigerweise verstehen zu müssen, vor allem sie nicht zu negieren scheint mir die eigentliche gesellschaftliche Herausforderung.

Elena Frickmann Interessant war zu beobachten, dass beide Ausstellungen die Wahrnehmung nochmals geschärft haben. In Mulhouse insbesondere das Bewusstsein für den eigenen geografischen Standort und dafür, dass man Teil einer globalen Gemeinschaft ist, was einem im Alltag oftmals verloren geht. Sandrine war dieser Aspekt sehr wichtig und sie hat ihn fantastisch umgesetzt. In Freiburg wurde aufgezeigt, wie groß der Einfluss des digitalen Raums auf zahlreiche Kontexte des eigenen Lebens ist und welche Chancen, aber auch Risiken damit einhergehen. Dass dieser Raum ebenso starke Konsequenzen für uns hat, wie unser geografisches Umfeld. Auf der Ebene des Austauschs können wir auf ein erfolgreiches Projekt zurückblicken, das uns ein Stück näher zusammengebracht hat und bei dem wir einiges voneinander gelernt haben. So groß unsere Gemeinsamkeiten sind, so groß sind dennoch oft die Unterschiede und darin liegt der Gewinn solcher Kooperationsprojekte.

 IN MEINEM NORDEN <-> IN DEINEM SÜDEN Mon Nord est Ton Sud, La Kunsthalle Mulhouse, Ausstellungsansicht 2018, © La Kunsthalle, Foto: Sébastien Bozon Perspektive

Mon Nord est Ton Sud, La Kunsthalle Mulhouse, Ausstellungsansicht 2018, © La Kunsthalle, Foto: Sébastien Bozon

Das Gespräch wurde im Oktober 2018 mit Stefanie Steps, Kulturbeauftragte des Bureau des arts plastiques, geführt.